Behandlungsziele

Die Zahnbehandlung verfolgt als direktes Ziel nicht nur die Beseitigung von akuten Schmerzzuständen, sondern dient vor allem auch dazu, die biomechanische Funktionalität des Kiefers und des Kiefergelenkes zu erhalten oder zu erreichen.
Um einen groben Überblick zu geben, wird im Folgenden der Kauvorgang, die freie Seitwärts, die rostrokaudale Beweglichkeit des Unterkiefers und der Begriff Okklusion erklärt.

Der Kauvorgang

Ein Pferd führt beim Grasen in freier Wildbahn über den ganzen Tag verteilt mehrere zehntausend Kauschläge aus. Dabei kaut es immer einseitig. Das heißt, es benutzt beim Kauen nicht beide Seiten gleichzeitig, sondern kaut das Futter entweder mit der linken oder der den rechten Backenzahnreihe. Wie in dem Video gezeigt, bewegt sich dabei vor allem der Unterkiefer in einer (stark vereinfacht beschrieben) kreisförmigen Bewegung. Dies erfolgte in freier Wildbahn mit tiefer Kopfhaltung, wodurch der Unterkiefer nach vorne gleitet. Hierdurch wurde eine gleichmäßige Abnutzung der Zähne durch das gefressene trockene, mineralhaltige und damit die Zähne stark abnutzende Gras ermöglicht. Unsere domestizierten Pferde müssen heute nicht mehr um Ihr Überleben kämpfen und Fressen meist über kürzere Zeiträume konzentriertes Futter mit anderen Materialeigenschaften in einer veränderten Kopf-Hals-Position. Dieser Umstand, den die Pferde den Menschen zu verdanken haben, macht die Zahnbehandlung, insbesondere auch in Zusammenhang mit der Nutzung des Pferdes als Reittier, notwendig. Für Video hier klicken.

Freie Seitwärtsbeweglichkeit des Unterkiefers

Für einen ungestörten Kauvorgang und eine uneingeschränkte Beweglichkeit des Pferdes in beide Richtungen sollte die freie Seitwärtsbeweglichkeit des Unterkiefers möglich sein. Einzelne erhöhte Zähne oder Zahnanteile, eine ungleichmäßige oder falsche Winkelung innerhalb der Zahnarkade oder einzelner Zähne (der Backen- und Schneidezähne) behindern diese freie Seitwärtsbeweglichkeit. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Seitwärtsbeweglichkeit nach der Zahnbehandlung ohne Maulgatter zu überprüfen. Dafür wird der Unterkiefer des Pferdes (ohne Maulgatter) während und nach der Behandlung in entgegengesetzter Richtung zur Kaubewegung verschoben. Hierdurch kann die uneingeschränkte Verschieblichkeit des Kiefers zusammen mit größtmöglicher Funktionalität (alle Zähne kommen während des Kauvorganges gleichmäßig unter Aufbau von genügend Druck zum Zermahlen des Futters in Kontakt) erreicht werden. Erfolgt diese Kontrolle nicht, ist es sehr wahrscheinlich, dass eben diese freie Seitwärtsbeweglichkeit nicht erreicht wird, oder aber zu viel Zahnsubstanz entfernt wurde. In diesem Fall kommen die Ober- und Unterkieferzähne dann nicht mehr miteinander in Kontakt oder sind zu glatt, was sich negativ auf das Fressverhalten, den Zahnstatus und somit auf das ganze Pferd auswirkt.

 

Seitwärtsbeweglichkeit eingeschränktSeitwärtsbeweglichkeit eingeschränkt

Seitwärtsbeweglichkeit freiSeitwärtsbeweglichkeit frei

 

Freie rostrokaudale (Vor- und Rückwärts-) Beweglichkeit des Unterkiefers

Der Unterkiefer ist bei einem Pferd mit ausbalanciertem Gebiss nicht nur seitlich, sondern auch nach vorne und hinten beweglich. Diese Beweglichkeit wird ebenfalls durch Malokklusionen wie zum Beispiel Haken auf den ersten oberen oder unteren letzten Backenzähnen, Rampen, Wellen usw. eingeschränkt. Der Unterkiefer verschiebt sich bei einem Pferd ohne (zahnbedingte) Bewegungseinschränkungen nach vorne, wenn das Pferd den Kopf senkt. Dadurch bewegen sich die Zähne des Ober- und Unterkiefers exakt übereinander und der Gelenkspalt des Kiefergelenkes, dessen unterer Anteil vom hinteren Anteil des Unterkiefers gebildet wird, erweitert sich. Hierdurch erhöht sich die Beweglichkeit des Gelenkes. In der Praxis beobachtet man häufig Pferde, die aufgrund von Malokklusionen und der dadurch eingeschränkten rostrokaudalen Beweglichkeit des Unterkiefers Probleme mit dem Kiefergelenk, bedingt durch Gelenkverschleiß und Entzündung, haben. Sie reagieren sensibel auf Palpation (Berührung von außen), können Ihr Maul mit Spekulum nur unter Schmerzen weiter öffnen und wehren sich beim Reiten gegen die Anlehnung. Daher ist es sehr wichtig, die Beweglichkeit des Unterkiefers während einer Zahnbehandlung wieder herzustellen oder zu bewahren. Für Video hier klicken.

Okklusion

Das hier Beschriebene wird zur allgemeinen Verständlichkeit stark vereinfacht dargestellt. Etwas nüchtern beschrieben gibt die von uns gemessene Okklusion an, ab welchem Punkt die Backenzahnreihen des Pferdes ohne Einzelzahnkontakte während der Seitwärtsbewegung des Unterkiefers miteinander in Kontakt treten und der durch die Backenzahnwinkelung entstandene Druck ausreicht, um eine Separation der Schneidezähne und damit das Öffnen des Pferdemauls zu bewirken. Wichtig zu erwähnen und bei jeder Zahnbehandlung zu beachten ist, dass weder beim Pferd noch beim Menschen die Zähne in einer planen Ebene in Kontakt kommen. In der Sagittalen liegen die Kontaktpunkte auf der sogenannten Spees´chen und in der Transversalen auf der Wilson Kurve. Diese sind für jedes Pferd individuell stark ausgeprägte anatomische Merkmale; deren Berücksichtigung bei der Bearbeitung der Pferdezähne durch einen Pferdezahnarzt fundamental wichtig ist. Während bei Menschen die Backenzähne bereits ohne Bewegung des Unterkiefers miteinander in Kontakt treten (statische Okklusion), ist dies bei Pferden nur sehr selten der Fall. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass der Oberkiefer und die Oberkieferzähne beim Pferd breiter sind als der Unterkiefer und dessen Zähne. Dies wird als Anisognathie bezeichnet. Außer dem Effekt, dass das Pferd mit einer zu geringen Okklusion Probleme mit dem Fressen haben kann, ist dadurch auch keine Sechspunktbalance mehr zwischen Schneidezähnen, Backenzähnen und Kiefergelenk gegeben. Dies kann sich durch den langfristig vermehrten Druck negativ auf das Kiefergelenk und somit die Reiteigenschaften des Pferdes auswirken. Um die Okklusion zu bestimmen, misst man also anhand der möglichen Seitwärtsverschiebung der miteinander in Kontakt stehenden Schneidezähne, ab welchem Punkt (von der Medianen aus gemessen), sich die oberen und unteren Schneidezähne aufgrund der Winkelungen der Backenzähne (die zur Zunge hin ansteigend sind und die durch die Verschiebung miteinander in Kontakt kommen) voneinander separieren, wenn man den Unterkiefer zur jeweiligen Seite verschiebt. Um die Okklusion in % Zahlen angeben zu können, muss vorher noch die maximale laterale Verschieblichkeit des Unterkiefers definiert und gemessen werden. Der Punkt an dem die Schneidezähne sich bei der Seitwärtsverschiebung separieren, wird dann in Relation zu dieser maximalen Verschieblichkeit gesetzt. In der Praxis verwendet man hierfür kein Maßband, sondern rechnet anhand von Zahnbreiten. Die Okklusion liegt damit immer zwischen 0% (keine Separation bis hin zur definierten maximalen Verschieblichkeit) und 100% (sofortige Separation). Sie ist somit auch ein Indikator zur Abschätzung der Schneidezahnlänge und zur Entwicklung des weiteren Behandlungsplanes. Ist die Okklusion zum Beispiel gering, ohne dass dies durch vermehrte Reduktion der Schneidezähne ausgeglichen werden kann (z.B. altersbedingt nicht genügend Zahnsubstanz zum Kürzen der Schneidezähne vorhanden), bedarf es bei der Behandlung der Backenzähne aus naheliegenden Gründen äußerster Vorsicht. Um die Okklusion in einem derartigen Fall zu erhöhen, sollte die damit in Zusammenhang stehende Winkelung der Schneidezähne überprüft und gegebenenfalls (bei zu steiler Winkelung) durch eine fachgerechte Zahnbehandlung korrigiert werden.